Ecommerce in Deutschland: Vom Versandhandel zu Marktplätzen

Blogeintrag
In einem umfassenden Interview teilt Andreas Kreickmann, leitender Verkaufsdirektor bei Radial Europa, Einblicke aus über 20 Jahren Erfahrung im Ecommerce-Fulfillment. Wichtige Erkenntnisse: • Die Entwicklung der Branche vom traditionellen Versandhandel zu Echtzeit-Digitalprozessen • Der Wandel von kostenlosen Retouren hin zu nachhaltigen Praktiken • Halbautomatisierte Lösungen als idealer Mix aus Effizienz und Personalisierung • Marktplatzpräsenz als Schlüssel zum Markenerfolg • Wachsende Bedeutung von Lösungen für den grenzüberschreitenden Handel  
A portrait of Andreas Kreickmann

Zwei Jahrzehnte Ecommerce in Deutschland mit Andreas Kreickmann

Andreas Kreickmann hat die gesamte Entwicklung des Ecommerce in Deutschland miterlebt – von einfachen CSV-Dateien bis hin zu Echtzeit-Operationssystemen. In seiner Rolle als leitender Verkaufsdirektor bringt er nicht nur eine fundierte Expertise in Logistik mit, sondern auch ein tiefes Verständnis dafür, wie Mode- und Ecommerce-Fulfillment perfekt ineinandergreifen können – genau wie die Millionen von Paketen, die er in seiner Karriere auf den Weg gebracht hat.

Ein Interview mit Andreas Kreickmann, leitender Verkaufsleiter bei Radial Europa:

Andreas, Sie verfügen über eine enorme Erfahrung in der Logistik für Ecommerce in Deutschland. Können Sie uns einen Überblick über Ihren Werdegang geben?

„Ich bin seit über 20 Jahren im Ecommerce tätig – damals, als ‚Ecommerce‘ noch bedeutete, Faxe zu verschicken und auf das Beste zu hoffen. Ich habe bei einem mittelständischen deutschen Unternehmen angefangen, das Mode-, Beauty- und Lifestyle-Fulfillment abwickelte.
Davor war ich bei einem Einzelhandelsunternehmen in der Süßwarenbranche tätig.
Offiziell habe ich also das gesammelt, was wir „umfassende Erfahrung im kommerziellen Fulfillment” nennen – eine schicke Umschreibung dafür, dass ich alles gesehen habe, was mit Lagerhaltung, Kommissionierung, Verpackung, Auslieferung und mehr zu tun hat.“

Sie haben Betriebswirtschaftslehre an der Universität Mannheim studiert. Hat Ihr Studium Ihre Karriere im Bereich Ecommerce und Logistik beeinflusst?

an imagine of the University of Mannheim

Ja, ich habe Wirtschaftswissenschaften und Betriebswirtschaftslehre studiert – was man heute als MBA bezeichnen würde. Während das akademische Fundament wichtig war, fand das eigentliche Lernen im Laufe der Entwicklung der Ecommerce-Branche statt.

Als ich 1989 mein Studium begann, existierte Ecommerce in Deutschland noch nicht. Die theoretischen Grundlagen aus meinem Studium halfen mir, die Geschäftsprinzipien zu verstehen, aber ich musste mich anpassen und lernen, während sich die Branche entwickelte.

Ihre Karriere umfasst über 20 Jahre im Ecommerce. Wie hat sich die Branche verändert?

Ich war fast 19 Jahre lang bei einem deutschen Fulfillment-Unternehmen als Verkaufsdirektor tätig und es war faszinierend, die Transformation vom traditionellen Versandhandel zum Ecommerce mitzuerleben.

Als ich in den frühen 2000er Jahren begann, hatten wir es noch hauptsächlich mit katalogbasierten Versandhändlern zu tun. Der Übergang zum Ecommerce erfolgte schrittweise, mit den ersten Onlineshops, die etwa 1999-2000 an den Start gingen.

Während meiner Zeit bei Innotrac Europa als geschäftsführender Verkaufsdirektor sammelte ich umfassende Erfahrungen auf dem amerikanischen Markt, was mir eine breitere Perspektive auf globale Ecommerce-Trends verschaffte.

Jetzt bei Radial kann ich diese internationale Erfahrung mit meinem Verständnis des europäischen Marktes verbinden, insbesondere im Bereich Ecommerce in Deutschland.

Innotrac Europa, das später Teil von Radial wurde. Hat diese frühere Erfahrung Ihre aktuelle Rolle beeinflusst?

Ich habe einige der grundlegenden Entwicklungen, die später Radial geprägt haben, direkt miterlebt.

Innotrac wurde 2014 von Radial (damals eBay Enterprise) übernommen. Diese Fusion brachte komplementäre Stärken im Ecommerce-Fulfillment zusammen.

Diese Erfahrung gibt mir eine besondere Perspektive in meiner Rolle bei Radial Europa. Ich verstehe die Entwicklung unserer Services genau. Unsere Services haben sich angepasst, um den heutigen Marktanforderungen gerecht zu werden.

Was sind die größten Veränderungen im Ecommerce im deutschen und europäischen Markt?

Als ich im Fulfillment begann, arbeiteten wir ausschließlich mit Versandhändlern. Ecommerce spielte damals keine große Rolle. Die ersten Onlineshops, die wir gestartet haben, kamen um 1999-2000. Die Technologie war anfangs sehr einfach. Wir arbeiteten mit CSV-Dateien, Excel-Tabellen und einfachen Dateiaustauschformaten.

Die Entwicklung war in vielerlei Hinsicht enorm. Technologien wurden reifer und wechselten zu Echtzeit-Operationssystemen. Die Servicelevels wurden schneller, und die Kundenerwartungen stiegen stark. Unternehmen wie Zalando und Amazon setzten neue Standards. Ecommerce in Deutschland war nach Zalando nicht mehr dasselbe.

Zalando scheint den deutschen Ecommerce stark beeinflusst zu haben.

Zalando hat den deutschen Markt verändert. Umsätze stiegen dramatisch, aber ebenso die Retouren.

Zalando setzte den Standard für eine Retourenquote von 50 % im Mode-Ecommerce in Deutschland. Der Ansatz war kundenorientiert. Retouren wurden ein zentraler Bestandteil der Kundenservice-Strategie.

Zalando hat zwei große Veränderungen vorangetrieben. Es war das erste Unternehmen mit kostenlosen Retouren und Versandkosten. Dieses Modell wurde so einflussreich, dass andere Unternehmen sich anpassen mussten, um wettbewerbsfähig zu bleiben.

Halten diese Trends heute noch an?

In den letzten Jahren gab es große Veränderungen. Viele Unternehmen versuchen nun, Retouren zu vermeiden. Wir sehen eine Tendenz zur Wiedereinführung von Versandgebühren.

Das vorherige Modell war kundenfreundlich, aber für viele Unternehmen finanziell nicht nachhaltig.

Ich glaube, die Branche wird dadurch gesünder und langfristig nachhaltiger.

Retouren, insbesondere im Modebereich, haben erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt, vor allem durch Verpackung und Transport. Nachhaltigkeit wird immer wichtiger und treibt Veränderungen im Fulfillment voran. Besonders bei Verpackungsmaterialien und Rückgabeprozessen sehen wir einen starken Fokus auf nachhaltige Lösungen.

Wie hat sich dies auf die Strategien im Retourenmanagement ausgewirkt?

In Deutschland sind Händler gesetzlich verpflichtet, Retouren mindestens zwei Wochen lang zu ermöglichen. Es gibt jedoch verschiedene Möglichkeiten, den Prozess zu optimieren. Für globale Unternehmen ist eine effektive Strategie der Betrieb lokaler Lager für Retourenservices. Dies verbessert nicht nur die Nachhaltigkeit, sondern senkt auch die Transportkosten, z. B. indem französische Kunden nach Frankreich und deutsche Kunden nach Deutschland retournieren.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Maximierung der Wiederverkaufbarkeit von Retouren. Wir bieten Mehrwertdienste wie die Aufbereitung von Retouren, das Reinigen von Produkten und sogar Reparaturen, etwa das Annähen von Knöpfen an Modeartikeln. Das Ziel ist es, möglichst viele Artikel in einen wiederverkaufsfähigen Zustand zu bringen.

Ein Blick in die VAS (Value Added Services)-Abteilung im Radial-Lager in Halle, Deutschland.

Retourenmanagement

7 Schritte zur Verringerung der Retouren

Wie sehen Sie die Automatisierung im Fulfillment?

Eine vollständige Automatisierung ist nicht immer die beste Antwort auf die Bedürfnisse der Kunden. Die Welt verändert sich, und wir müssen flexibel bleiben. Halbautomatisierte Lösungen sind oft ideal. Automatisierung bei der Kommissionierung und Lagerung ist sinnvoll, aber das Verpacken sollte persönlicher bleiben.

Wir müssen die Fähigkeit bewahren, Marketingmaterialien einzufügen und ein markenspezifisches Unboxing-Erlebnis zu schaffen. Pakete müssen mit Blick auf das Markenimage verpackt werden – etwas, das sich nicht vollständig automatisieren lässt.

Die besten Branchenevents?

Die E-Channel Days (ECD) in München sind mein Lieblingsevent. Dort kann man mit vielen Modemarken in Deutschland in Kontakt treten – es fühlt sich fast wie ein Familientreffen der Branche an. Es gibt spannende Präsentationen und ein sehr kompaktes Programm. Ein besonders wertvoller Aspekt ist, mehr über die Entwicklungen auf verschiedenen Marktplätzen zu erfahren.

Ein Moment von den ECD 2024, organisiert von Tradebyte und abgehalten in München, Deutschland.

Können Sie die Bedeutung von Marktplätzen näher erläutern?

Eigene Onlineshops sind gut, aber der geschäftliche Erfolg hängt letztlich von der Präsenz auf Marktplätzen ab. Das gilt nicht nur für Deutschland – es ist ein globaler Trend.

Wir sehen ein kontinuierliches Wachstum bei der Zahl der Marktplätze, mit ein oder zwei neuen Plattformen pro Monat. Für unsere Marken und Kunden ist die Marktplatzstrategie ein zentraler Bestandteil ihres Geschäfts.

Wie bleiben Sie über Marktentwicklungen auf dem Laufenden?

Lernen ist ein fortlaufender Prozess. Es ist eine Mischung aus Lesen, Gesprächen und dem Sammeln von Marktinformationen. Der beste Lernerfolg kommt aus dem Austausch mit Experten, Beratern und Marken, die aktiv im Markt sind.

Das Verstehen neuer Technologien und zukünftiger Anforderungen ist entscheidend, um wettbewerbsfähig zu bleiben und uns bei Bedarf neu zu erfinden.

Mit welchen Marken haben Sie in Ihrer Karriere am liebsten zusammengearbeitet?

Für mich stehen weniger die Markennamen im Vordergrund, sondern die Menschen hinter den Marken. Am Ende des Tages sind wir in der Dienstleistungsbranche, und es geht vor allem um Menschen.

Selbst wenn eine Marke perfekt ist, machen die Menschen dahinter den Unterschied. Ich habe mit vielen Mode- und Schuhmarken gearbeitet, was mir besonders Spaß macht. Doch das, was wirklich zählt, ist der Aufbau von Vertrauen und professionellen Beziehungen mit den Beteiligten.

Können Sie uns etwas über die Fulfillment-Fähigkeiten von Radial in Deutschland erzählen?

Unser Standort in Halle liegt im Herzen Europas, nur 15 Minuten vom Flughafen Halle/Leipzig entfernt. Wir können Deutschland und die Märkte in Osteuropa innerhalb von 24 Stunden abdecken, mit späten Annahmeschlusszeiten zwischen 18 und 19 Uhr.

Das Zentrum verfügt über halbautomatisierte Systeme, darunter Förder- und Schienensysteme, die speziell für Modekunden entwickelt wurden.

Ihre Präsenz reicht auch nach Polen. Was ist besonders am Standort in Warschau?

Unser 17.000 Quadratmeter großes Lager in der Nähe von Warschau vereint Automatisierung mit Flexibilität. Wir haben Knapp-Automatisierung mit A-Frame-Systemen und Pick-to-Light-Technologie implementiert, was unsere Same-Day-Versandkapazität verdoppelt.

Mit einer Annahmeschlusszeit von 19.00 Uhr und einer Kapazität für Zehntausende von Aufträgen pro Tag ist es ein wichtiges Drehkreuz für Mittel- und Osteuropa.

Wie spielt Automatisierung in diese Abläufe hinein?

Wir setzen auf halbautomatisierte Lösungen, die Effizienz mit Flexibilität ausbalancieren. Während wir Kommissionierung und Lagerung automatisieren, behalten wir manuelle Möglichkeiten für spezielle Anforderungen bei.

Dieser hybride Ansatz erlaubt uns, hohe Volumen zu bewältigen und gleichzeitig personalisierten Service zu bieten – besonders wichtig für Mode- und Lifestyle-Marken.

Welche Nachhaltigkeitsinitiativen haben Sie in diesen Einrichtungen umgesetzt?

Beide Standorte setzen auf Nachhaltigkeit. Wir nutzen Verpackungen nach Bedarf, 100 % recycelbare Materialien und energieeffiziente LED-Beleuchtung mit Bewegungssensoren.

Unser Standort in Warschau hat die Breeam In-Use- und FSC-CoC-Zertifizierungen erhalten. Diese Maßnahmen reduzieren unseren ökologischen Fußabdruck und schaffen gleichzeitig Kosteneffizienzen für unsere Kunden.

Was treibt Sie in dieser Branche an?

Diese Branche spiegelt moderne Vertriebskanäle perfekt wider. Marken müssen auf mehreren Kanälen und Kontaktpunkten aktiv sein. Es geht nicht mehr um eins-zu-eins, sondern um eins-zu-viele. Radial als globales Unternehmen ist ideal aufgestellt, um Lösungen sowohl in Europa als auch in den USA anzubieten.

Wir sind besonders gut darauf vorbereitet, zukünftige Herausforderungen wie Zoll- und Marktveränderungen zwischen den USA und Europa zu bewältigen. Auch wenn wir die Zukunft nicht genau vorhersagen können, ist Radial darauf ausgelegt, sich anzupassen und passende Lösungen für unsere Kunden zu entwickeln.

Der Markt ist zukunftsorientiert und wird weiter wachsen, was ihn zu einem spannenden Arbeitsfeld macht. Für mich persönlich ist die Arbeit bei Radial eine Möglichkeit, Teil dieser Entwicklung zu sein und Unternehmen bei der Navigation durch komplexe Multichannel-Umgebungen zu unterstützen.

Andreas Kreickmann
Leitender Verkaufsdirektor, Radial Europa
akreickmann@radial.com
+49 173 8875895

Ein erfahrener Ecommerce-Stratege mit über zwei Jahrzehnten Expertise in Logistik- und Fulfillment-Lösungen. Nach seinem Abschluss in Betriebswirtschaftslehre an der Universität Mannheim prägte Andreas seine Karriere durch Schlüsselrollen, darunter VP Sales & Marketing bei PVS Europe sowie leitende Positionen bei Innotrac Europe GmbH und IPO Solutions.

Heute nutzt er bei Radial Europa seine umfassende Erfahrung in den Bereichen Mode, Beauty und Lifestyle sowie sein tiefes Verständnis der europäischen Marktplatzdynamik, um Omnichannel-Fulfillment-Lösungen voranzutreiben.

Im Herzen Europas

Fulfillment-Zentrum Halle

Eine Einführung in das Fulfillment-Center von Radial Europa in Halle, Deutschland.